Alter und neuer Feminismus: Der Feminismus hat die Mütter vernachlässigt

Tanja Dückers beschrieb im Sommer in: „Was wollen die neuen Feministinnen?“ (Tagesspiegel vom 15.07.2018) die Positionen neuer Feministinnen in Deutschland.

Der neue Feminismus unterscheide sich vom alten vor allem in Bezug auf die Kinderfrage: „Lange Zeit war die Stoßrichtung klar: weniger Kinder, mehr Selbstbestimmung. Alice Schwarzer und andere Vertreterinnen der 68er stehen für einen Feminismus, der die moderne, unabhängige und politisch engagierte Frau weitgehend ohne Kinder denkt.“ Tanja Dückers stellt eine Reihe von Journalistinnen und Autorinnen wie Alina Bronsky oder Eva Corino vor, allesamt Mütter, die einen gemeinsamen Tenor haben: „Der Feminismus hat die Mütter vernachlässigt.“ Die „Mütter-Feministinnen“ kritisieren die Scheinheiligkeit einer durchkapitalisierten Gesellschaft. Geht es bei dem Kampf um Kita-Plätze nicht irgendwie auch um das Bruttosozialprodukt? Außerdem sprechen sie für die überforderte „Sandwich-Generation“: Karriere, Kinder, Pflege der Eltern – alles passiert gleichzeitig in der „Rushhour des Lebens“. Muss das so sein? Wenn wir Menschen sowieso immer älter werden, warum können Mütter nicht auch mit 40 oder 50 Jahren wieder ins Berufsleben einsteigen? Die Autorinnen stellen provokante Fragen: Ist das Bild der „erfolgreichen Mutter“ wirklich so viel fortschrittlicher als das der bügelnden Siebziger-Jahre-Hausfrau? Ist unsere Gesellschaft nicht nur kinder- sondern auch mütterfeindlich?

Tanja Dückers analysiert klug, was sie den „blinden Fleck“ im Diskurs der Mütter-Feministinnen nennt: Männer, Lebensgefährten bzw. Ehepartner. Die wenigsten wollten weniger arbeiten oder länger als zwei Monate Elternzeit nehmen. Männer würden zu wenig ins Visier genommen, so Dückers.

Erfahrungen aus der Beratung: Heiraten ja oder nein?

Als KOBRA-Beraterin sehe ich das Problem bei vielen meiner Kundinnen bestätigt. Die Frauen strampeln sich regelrecht ab und merken zum Teil nicht, dass sie die Väter zu wenig in deren Verantwortung nehmen. Ich frage mich oft, wie es sein kann, dass eine junge, vielleicht selbständig, vielleicht in Teilzeit arbeitende Frau, hochschwanger mit dem zweiten Kind vom gleichen Vater, mit dem sie unverheiratet aber in fester Partnerschaft lebt, übrigens einem Mann in führender Position – dass diese Frau Stress hat und das obwohl sie in wenigen Wochen entbindet. Finanziellen Stress, weil sie nur wenig Elterngeld erhalten wird; Handlungs-Stress, weil sie als Selbständige den Anschluss nicht verlieren darf und sich jetzt schon um das Danach kümmern muss und vor allem emotionalen Stress, weil sie ihren Partner nicht nach Geld fragen kann, obwohl sie eine Art Ungerechtigkeit spürt, die sie nicht in Worte fassen kann.

„Ich bin ja selber schuld, dass ich mir einen Beruf ausgesucht habe, bei dem man nicht so viel Geld verdienen kann wie mein Mann“, hörte ich kürzlich in der Beratung. Ja, sicher, ich vergaß die Schuldgefühle, die setzen wir wie ein Sahnehäubchen noch oben drauf. Ihren Partner um mehr finanzielle Unterstützung zu bitten, das schaffe sie einfach nicht, sie hätten bisher immer alles geteilt, auch wenn ihr nur ein Fünftel seines Nettogehalts zur Verfügung stünde. Aber das wäre ok so für sie. Sie wäre es gewohnt, mit wenig Geld klar zu kommen. Er würde ja auch lieber länger in Elternzeit gehen, aber dann müsse sie eben so viel verdienen wie er in der Zeit. In der Beratung frage ich vorsichtig nach, ob sie schon einmal ans Heiraten gedacht hätte.

Was haben wir uns da eingebrockt? Und wie kommt es, dass ich als Beraterin für Bildung, Beruf und Arbeit mit einer Kundin über die Vor- und Nachteile der Eheschließung reden muss. Im Jahre 2018? Ist es manchmal aus lebenspragmatisch-juristisch-bürokratischen Gründen nicht einfach vernünftiger zu heiraten? Egal wie emanzipiert wir sind und egal wie sehr wir den Staat unsere Beziehung gestalten lassen wollen? Aber immerhin, so stieß ich auf interessante Informationen im Netz, indem ich „Heiraten ja oder nein“ in die Suchmaske gab. Tatsächlich findet frau brauchbare Informationen, die zeigen, welche Aspekte, Gesetze und Regelungen neben steuerlichen Vorteilen nach einer Eheschließung eine Rolle spielen:

All diese Links schickte ich auch an die oben beschriebene Kundin und beim nächsten Treffen berichtete sie, sie hätte daraufhin die Rentenbescheide verglichen. Bei ihr ein Betrag von ca. 400,- Euro, bei ihrem Partner das Fünffache. Was auch immer sie nun mit dieser Erkenntnis machen wird: heiraten oder nicht, anders in der Partnerschaft über die Haushaltkasse nachdenken, überhaupt das Thema Finanzen und Altersvorsorge mit dem Partner offen kommunizieren – es ist gut, das bewusst anzugehen und nicht so zu tun, als wäre man noch Single.

Wir haben 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert in diesem Jahr, wir haben Bildungsgleichheit zwischen den Geschlechtern erreicht, aber wir haben auch neue Probleme in der Geschlechterdebatte, die noch gar nicht richtig erkannt werden und die sich hauptsächlich auf dem Rücken von modernen, gut ausgebildeten
Müttern abspielen, die sowohl eine Familie als auch einen tollen Job haben wollen. Etwas, was Männer ganz selbstverständlich für sich beanspruchen. Es ist noch lange keine Gerechtigkeit hergestellt:

  • Mütter beziehen weniger Rente, weil sie mehr in Teilzeit arbeiten.
  • Mütter verwirklichen sich auch inhaltlich beruflich weniger, weil sie mit ihren Kräften jonglieren müssen.
  • und und und.

Das Frauenwahlrecht wurde uns Frauen nicht geschenkt – machen wir uns das immer wieder klar. Eine Gesellschaft wird nicht von allein sozialer oder humaner, weil es vielleicht an der Zeit wäre. Das hat es noch nie gegeben. Große Reformen entstanden immer, weil sich Menschen dafür eingesetzt haben und weil sie gekämpft haben.

Männer wollen durchaus weniger arbeiten und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, aber nicht immer ziehen die Unternehmen oder die Kollegen mit. Frauen wollen durchaus mehr arbeiten. Die Realität sieht aber ganz anders aus: Je mehr Kinder Frauen haben, desto weniger arbeiten sie – im Gegensatz zu Männern. Erst ab vier Kindern reduzieren sie ihre Arbeitszeit. Das haben Forscher des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen herausgefunden. Anders ausgedrückt: „Teilzeit-Papas sind so selten wie Breitmaulnashörner“.

Falsche Bilder im Kopf

Liebe Frauen, streiten Sie also weiter um Gleichbehandlung, privat und politisch, es lohnt sich. Sie müssen die Verantwortung nicht allein auf Ihren Schultern tragen, nur weil sie unabhängig bleiben wollen. Keine Frau muss die „Supermami“ sein: erfolgreich im Job, unabhängig, immer gutaussehend und gutgelaunt, eine tolle Mutter usw. Lassen Sie die Klischees dort wo sie hingehören, im Altpapiercontainer. Seien Sie die Frau und Mutter, die sie wirklich sein wollen und hinterfragen sie alle aufgestülpten Bilder und Rollen der alten und neuen Feministinnen, aber auch die Bilder unserer kapitalistischen Gesellschaft und ihre eigenen: was stimmt davon wirklich?

Ich dachte zum Beispiel sehr lange, dass sich mein Leben als erwachsene Frau und Mutter erst dann richtig anfühlt, wenn wir in einer mindestens 120 qm großen schönen Berliner Altbauwohnung leben würden. Das war so ein Bild, wie Familie zu sein hat bzw. was ein gelungenes Leben ist. Jetzt leben wir schon seit 11 Jahren als dreiköpfige Familie in einer 2-Zimmer-Wohnung und sind mittlerweile sehr froh darüber, dass wir nicht mehr arbeiten müssen, um mehr Quadratmeter finanzieren zu können. Manchmal sitzen wir stattdessen um 16 Uhr zusammen am Küchentisch und freuen uns, dass wir noch so viel Zeit des Tages gemeinsam verbringen können.

Welchen falschen Bildern jagen Sie hinterher? Wie haben Sie sich davon befreit?

Zum Weiterlesen:

TED-Talk „Bad Feminist“ von Roxane Gax, OV mit dt. Untertiteln (abgerufen am 23.11.2018) bzw. das Buch „Bad Feminist“ von Roxane Gay. In ihren Essays schreibt sie treffend und undogmatisch über Feminismus, aber auch über Gesellschaft und Konsum, die uns zu denen machen, die wir sind. Ein inspirierender Aufruf, nicht perfekt sein zu müssen, aber für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu kämpfen.

Ein Beitrag von Rosaria Chirico